Der "Tiefe Brunnen" von Birkenreuth/Ofr.
Ein Beispiel für die Problematik der Trinkwasserversorgung auf der fränkischen Karsthochfläche in historischer und heutiger Zeit.
von 1Alfons Baier, 2Florian Huber, 3Uli Kunz, 2Marijana Krahl & 2Jana Ulrich
BAIER, A., HUBER, F., KUNZ, U., KRAHL, M. & ULRICH, J. (2014): Der "Tiefe Brunnen" von Birkenreuth/Ofr. Ein Beispiel für die Problematik der Trinkwasserversorgung auf der fränkischen Karsthochfläche in historischer und heutiger Zeit.- Geol. Bl. NO-Bayern 64, 1-4 & 65,1: 13-41, 11 Abb., Erlangen 2014.
1 GeoZentrum Nordbayern der Friedrich-Alexander-Universität, Lehrstuhl für Angewandte Geologie, Schlossgarten 5, D-91054 Erlangen; 2 AG maritime u. limnische Archäologie (AMLA), Institut für Ur- und Frühgeschichte, Christian-Albrechts-Universität, Johanna-Mestorf-Str. 2 6, D-24098 Kiel;. 3 SUBMARIS, Forschungstaucheinsätze für Wissenschaft und Medien, Körnerstr. 29, D-24103 Kiel.
Kurzfassung
Das heute als wildromantisch empfundene und touristisch stark frequentierte Karstgebirge der "Fränkischen Schweiz" war noch in jüngster Vergangenheit durch eine extreme Wasserarmut gekennzeichnet, unter der die Bevölkerung auf der gesamten Albhochfläche jahrhundertelang zu leiden hatte.
In den 40-ger Jahren des 19. Jahrhunderts traten deutschlandweit extreme Witterungsverhältnisse auf, welche die harten Lebensbedingungen und die ständige Wassernot auf der fränkischen Karsthochfläche massiv verschärften. Die Wetterkapriolen führten auf der Albhochfläche vereinzelt zum Bau von kostspieligen Trinkwasserbrunnen wie dem "Tiefen Brunnen" von Birkenreuth. Zur Klärung seiner Baugeschichte und der geologisch/hydrologischen Verhältnisse erfolgten vom 04. bis 05. April 2014 insgesamt 7 Tauchgänge in den Brunnenschacht.
Heute zeigt das mit damals immensem Aufwand erschlossene Karstwasser die massiven qualitativen Beeinträchtigungen an, die mit den Düngemaßnahmen und der Entsorgung von "Gärresten" im Zuge des großflächigen Anbaus von "Energiepflanzen" verbunden sind.
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1 Einleitung
Das wildromantische Karstgebirge der Nördlichen Frankenalb erweist sich in der Gegenwart als ein relativ wohlhabendes, gut erschlossenes Urlaubs- und Naherholungsgebiet mit einer Vielzahl von Freizeitangeboten. Von touristisch besonderem Interesse ist hier die in ihrem Zentrum gelegene "Fränkische Schweiz", welche in etwa durch das Städtedreieck Bamberg, Bayreuth und Nürnberg umgrenzt wird. In dieser klassischen Freizeitregion werden neben einer Vielzahl von Naturdenkmälern, den überregional bekannten Tropfsteinhöhlen, den steil aufragenden Dolomitfelsen und den tief eingeschnittenen Flusstälern vor allem die kleinen, pittoresken Dörfer auf der Albhochfläche mit ihren historischen Fachwerkhäusern und Brauereigasthöfen jährlich von Zehntausenden Urlaubern, Sportkletterern und Wochenend-Ausflüglern besucht.
Im Kerngebiet der "Fränkischen Schweiz" liegt rund 30 km NNE Erlangen das bis 1807 so benannte "Muggendorfer Gebürg" mit den Ortschaften Ebermannstadt, Streitberg und Muggendorf im tief eingeschnittenen Tal der Wiesent (Baier, 2013). Auf der S angrenzenden Karsthochfläche befindet sich inmitten ausgedehnter Wälder das kleine Albdorf Birkenreuth mit seinem weithin bekannten "Tiefen Brunnen", dessen im 19. Jhd. mühevoll getätigter Bau letztlich im jahrhundertelangen Kampf der Albbewohner um ausreichend Wasser begründet ist.
Inmitten der heute blühenden Landschaft erscheinen die ehemals sehr widrigen Lebensumstände in den Albdörfern nur schwer vorstellbar. Die intensiven Verkarstungserscheinungen in den Malmkalken, -dolomiten und -mergeln bedingen auf der ausgedehnten Karsthochfläche eine extreme Wasserarmut. Dieser Wassermangel stellte in den Bergdörfern über Jahrtausende ein dauerhaftes und täglich akutes Problem dar. Die existenzielle Bedeutung der Versorgung mit ausreichenden Wassermengen für Mensch und Tier wird auch dadurch verdeutlicht, dass bereits in den keltischen Höhensiedlungen der Frankenalb natürlich entstandene Auffangbecken für Niederschlagswässer (sogenannte Hüllen) genutzt wurden und bis heute nachweisbar sind, so beispielsweise auf der "Houbirg" E Happurg/Nürnberger Land (VOLLRATH, 1960).
Die durch die geologischen Verhältnisse bedingte Brauch- und Trinkwasser-Problematik wurde vom frühen Mittelalter an noch dadurch verstärkt, dass die ehemals bewaldete Albhochfläche durch anthropogene Eingriffe zur heutigen verkarsteten Kulturlandschaft umgestaltet wurde. Die ausgedehnten Waldgebiete wurden hauptsächlich zur Herstellung von Holzkohle großflächig gerodet und die Flusstäler künstlich entwässert, so dass auch in den Tälern Verkehrswege und Siedlungen entstehen konnten. Im fränkischen Karstgebirge sank mit dieser zunehmenden, teils natürlichen, teils künstlichen Entwässerung der Grundwasserspiegel stark ab. Die Folge hiervon war, dass die Albhochfläche immer stärker verkarstete und ursprünglich perennierende Quellen in den etwas höher gelegenen Talsystemen versiegten (HABBE, 1989).
Die Lebensverhältnisse auf der Albhochfläche wurden so durch den zunehmend größer werdenden Wassermangel immer ungünstiger, während in den wenigen, tief eingeschnittenen Flusstälern aufgrund der Entwässerung der vermoorten Böden mehr fruchtbares Land gewonnen werden konnte.
2 Abriss der historischen Wasserversorgung im fränkischen Karstgebirge
Das S des Wiesentales schroff aufragende Karstgebirge wird von den Doggerschichten im Liegenden bis zu den großräumig anstehenden Schwammkalken und Dolomiten des Malm Delta aufgebaut. Die verkarsteten Malmschichten setzen sich überwiegend aus massigen Kalk- und Dolomitgesteinen zusammen und bilden morphologisch häufig pittoreske Felsbastionen aus (vgl. BAIER, 2013). Auf der von weiträumig anstehendem Dolomit aufgebauten Karsthochfläche, auf der das kleine Albdorf Birkenreuth gegründet wurde, werden die hauptsächlich während der Unterkreidezeit tiefgründig verkarsteten und damals eine Kegelkarstlandschaft bildenden Malmschichten diskordant von känozoischen Alblehmen überdeckt. Nur einzelne, meist bewaldete Dolomitkuppen ragen aus den überwiegend landwirtschaftlich genutzten Alblehmgebieten heraus.
Auf der verkarsteten Albhochfläche erfolgte im Mittelalter die Gründung von Ortschaften bevorzugt auf den ausgedehnten Vorkommen der Alblehme, welche den verkarsteten Malmschichten in meist nur geringen Mächtigkeiten auflagern. Diese Alblehme werden hauptsächlich aus Tonpartikeln aufgebaut, welche als unlösliche Residuale bei der Verkarstung der Malm-Karbonate anfielen. Bereits im Tertiär und vor allem im Quartär wurden sie auf der Albhochfläche allmählich akkumuliert, oftmals in morphologischen Senken zusammengespült und bilden heute die "lehmige Albüberdeckung", welche auch die hydrologischen Deckschichten des darunter liegenden, mächtigen Karstaquifers darstellen.
Auf der trockenen Karsthochfläche ermöglichten diese wasserstauenden Lehmsedimente in Subrosionssenken die Ausbildung kleiner, natürlich entstandener Oberflächenwasser-Ansammlungen, welche als Hüllen bezeichnet werden. Stellenweise wurden diese Wassertümpel auch künstlich angelegt: Die Albbewohner gruben hierzu ein Loch in die Erde, in dem sich das Niederschlagswasser sammeln konnte. Wegen des stark wasserdurchlässigen Karstuntergrundes geschah dies bevorzugt an den Stellen, wo bereits eine natürliche Ton- oder Lehmschicht vorhanden war. War das nicht der Fall, wurde ein derartiges Wasserloch mit Lehm ausgeschlagen (FISCHER, 1993). Alte Ortspläne von Albdörfern zeigen jeweils mehrere solche Wasserlöcher, die oft in der Nähe der Hofstellen angelegt wurden.
Als traditionelle Wasserspeicher für Oberflächenwasser stellten die Hüllen auf der trockenen Karsthochfläche die einfachste und bis in die Anfänge der Besiedelung zurückreichende Form der Wasserversorgung dar. Der Name "Hüll" leitet sich vom althochdeutschen Wort "huliwa" (= "Wasserloch, Sumpflache") ab und bezeichnet in der mittelhochdeutschen Benennung "hülwe" eine "kleine, mit Regenwasser gefüllte Pfütze" (MAAS, 1995). Die immense existentielle Bedeutung der Hüllen für die Besiedlung der Albhochfläche spiegelt sich auch in den Orts- und Flurnamen wie Egloffsteinerhüll, Eichenhüll, Ernhüll, Gräfenbergerhüll, Großenhül, Guckhüll, Kleinhül, Mährenhüll, Weidenhüll, Wohlmuthshüll oder einfach nur "Hüll" wider.
Das in den Hüllen angesammelte Oberflächenwasser diente den Albbewohnern als minimale und hygienisch äußerst bedenkliche Brauch- und Trinkwasserversorgung. In der Nördlichen Frankenalb waren diese Hüll-Weiher bis in das 20. Jahrhundert zur Minimaldeckung des Wasserbedarfs von Menschen und Tiere in Gebrauch. Eine Folge der hieraus resultierenden harten Lebensbedingungen und der ständig latent vorhandenen Wassernot war die relativ geringe Bevölkerungsdichte auf der trockenen Albhochfläche, welche noch heute im krassen Gegensatz zu dem Wasserreichtum der wenigen, tief in das fränkische Karstgebirge eingeschnittenen Flusstäler steht.
In allen Albdörfern gab bis weit in das 20. Jahrhundert ein bis drei in Gemeindebesitz befindliche Hüllen unterschiedlicher Ausdehnung und Tiefe, von denen die etwas größeren Exemplare in starker Übertreibung auch als Weiher bezeichnet wurden. Sie waren für jedermann und für jegliches Vieh zugänglich. Die Anlage dieser zentralen Wassersammelstellen erforderte Gemeinschaftssinn, mussten sie doch häufig in mühsamer Arbeit mit Lehm ausgekleidet werden. Meistens lagen die Gemeindehüllen in den tiefer gelegenen Teilen der Siedlung, damit das von der Anhöhe abfließende Niederschlagswasser aufgefangen werden konnte (FISCHER, 1993).
Daneben existierte in den Albdörfern eine Vielzahl kleinerer Wasserstellen, die zur Brauchwassergewinnung als Viehhüll oder bei Verwendung zum menschlichen Genuss als Reinhüll bezeichnet wurden. Die wenigen Reinhüllen lagen meist am Dorfrand oder in der Flur, so auch im Wald am NNE Ortsrand von Birkenreuth. Das hierin aufgefangene Oberflächenwasser wurde aufgrund der augenscheinlich geringen Kontaminationsgefahren sogar für Kochzwecke genutzt (FISCHER, 1993). In bestimmten Zeitabständen mussten alle Hüllen, die während länger andauernden Trockenperioden oftmals zu unansehnlichen Schlammpfützen schrumpften, gesäubert werden. Der hierbei gewonnene Aushub wurde anschließend zur Bodenverbesserung auf den Feldern ausgebracht (WEISEL, 1992).
Die Hüllen stellten nicht selten eine Gefahr für das Dorf und seine Bewohner, besonders für Kinder und nächtliche Wirtshausheimkehrer dar. Bereits im April 1803 forderte deshalb das "Königlich Preußische Kreisdirektorium Bayreuth" von dem ihm unterstellten Kammeramt Streitberg einen genauen Bericht über den Zustand der in den Dörfern vorhandenen Hüllen und Weiher sowie deren Absicherung an. Das Antwortschreiben des Kammerrates Streitberg verdeutlicht die wichtige Funktion der Wassersammelstellen: So wird in dem Schreiben dargelegt, dass die Hüllen nicht nur zum Waschen von Futter, sondern auch als Tummelplatz für Gänse und Enten dienten. Auch das Großvieh wurde dort getränkt und in vielen Fällen verwendeten die Albbewohner dieses Wasser auch zum Kochen. Der Kammerrat wehrte sich entschieden gegen die aus Sicherheitsgründen geforderte Einzäunung der Wasserlöcher, weil "das Vieh dann nicht mehr ungehindert zum Tränken gehen könne und auch mehrere Graswäscher könnten dort nicht mehr gleichzeitig stehen" (FISCHER, 1993).
Neben der archaisch anmutenden, gleichwohl flächenhaft praktizierten Wasserversorgung aus den Hüllen fingen einige Bauern die Niederschlagswässer auch in Zisternen auf. Da der Zisternenbau jedoch einen relativ hohen finanziellen Aufwand erforderte, blieb deren Errichtung nur wenigen, vergleichsweise wohlhabenden Albbewohnern vorbehalten. Bei den Zisternen handelte es sich um innen ausgemauerte Gruben, die in unmittelbarer Nähe des entsprechenden Bauernhofes angelegt wurden. In diese oben abgedeckten Wassergruben wurde das von Haus- und Scheunendächern gesammelte Niederschlagswasser über hölzerne Rohrleitungen hineingeleitet. Bei Bedarf wurde das Wasser mittels Eimern in die Häuser getragen und dort zum Kochen, Backen, Waschen und auch zur Reinigung des Hauses verwendet (FISCHER, 1993). Größere Ansprüche an Reinlichkeit und Hygiene durften unter diesen Umständen sicherlich nicht gestellt werden.
In der Studie zur globalen Wasserbewirtschaftung von GLEICK (1999) wird die lokale Mindestwassermenge pro Person mit 5 L/d angegeben. Nach den Überschlagsberechnungen von MEYER (1979) beträgt der tägliche Wasserbedarf einer Siedlung mit 10 bis 30 Personen rund 50 L/d bis 150 L/d. Wesentlich größere Wassermengen müssen jedoch für die tägliche Versorgung von Tieren bereitgestellt werden. Eine Wasserration von 50 L/d ist jeweils für ein Pferd, für ein Rind oder für fünf Schweine anzusetzen. Diesen Betrachtungen liegen die Beobachtungen an Bauernhöfen im schweizerischen Hochjura zugrunde, deren Bewohner noch heute ihren Wasserbedarf aus Zisternen decken müssen (GLEUE, 2008). Für einen kleinen Bauernhof mit fünf Personen, zwei Kühen und fünf Schweinen ist also als absoluter Mindestbedarf eine tägliche Wassermenge von 175 L notwendig.
Wenn im Jahresverlauf genügend Niederschläge fielen, kamen die Albbewohner mit der aus Hüllen und Zisternen zur Verfügung stehenden Wassermenge hinreichend aus, wenn auch der sparsame Umgang damit immer geboten war. Vor allem im Winter und während sommerlicher Trockenmonate musste jedoch das Trinkwasser für Menschen und Tiere über die meist schmalen, steinigen und steilen Brunnwege aus den perennierenden Karstquellen in den tief gelegenen, oft weit entfernten Flusstälern geholt werden. Diese kräftezehrenden Tätigkeiten erfolgten bisweilen mittels des teuren Einsatzes von Ochsengespannen. Überwiegend wurde jedoch auf die Arbeitskraft von Frauen zurückgegriffen, welche das in Fässern abgefüllte Quellwasser auf ihren Rücken bis in die Dörfer auf der Albhochfläche schleppten. So beobachtete im Jahre 1834 Fürst Pückler auf dem alten Brunnweg vom Wiesenttal in das auf der Karsthochfläche NE Streitberg gelegene Albdorf Engelhardsberg "einige dieser menschlichen Lastthiere mit Tonnen auf dem Rücken sich jämmerlich hinaufquälen" (SCHÖNHÖFER & SCHÖNHÖFER, 1992).
Der Bau zentraler Wasserversorgungsanlagen für die Dörfer auf der Albhochfläche begann vereinzelt um 1900, verstärkt setzte er allerdings erst nach 1950 ein (HÜMMER & SAMINI, 2002). Bis dahin spielte die jahrhundertealte Wasserversorgung aus Hüllen, Zisternen und mittels des mühsamen Trinkwassertransports aus den Talquellen in die hoch gelegenen Albdörfer die entscheidende Rolle im fränkischen Karstgebirge.
3 Zur Geschichte und Wasserversorgung von Birkenreuth
Das kleine, heute rund 200 Einwohner umfassende Albdorf Birkenreuth wurde 1520 als "Pyrckareuth" erstmals urkundlich erwähnt, ist wahrscheinlich jedoch wesentlich älter. Generell gilt, dass das Datum der Erstnennung nur in seltenen Fällen mit dem Zeitpunkt der Ortsgründung identisch ist und somit meist einen "terminus ante quem" darstellt (v. REITZENSTEIN, 2009). Beim ursprünglichen Ortsnamen von Birkenreuth weist das althochdeutsche Bestimmungswort "Pyrck" auf die Erstsiedlung in der Nähe zu einem mit Birken bestandenen Gelände hin (v. REITZENSTEIN, 2009), während das Grundwort auf mittelhochdeutsch "riute" (= Rodung) zurückzuführen ist (MAAS, 1995). Der Dorfname entstand also im Zuge der Siedlungs- und Rodungstätigkeit während der hochmittelalterlichen Landnahme, die hier wahrscheinlich für das 11. bis 12. Jhd. anzusetzen ist. Im Spätmittelalter gehörte das kleine Albdorf Birkenreuth zu den Streitberger kaiserlichen Lehen (SCHÖNHÖFER & SCHÖNHÖFER, 1992).
Die früheste, auch modernen kartographischen Ansprüchen genügende Detailkarte von Birkenreuth stammt aus dem Jahr 1843. Sie entstand im Zuge der ersten, flächendeckend durchgeführten Vermessung von Bayern unter König Max I., der im Jahr 1808 die königliche Steuervermessungskommission (das spätere Landesvermessungsamt) gründete und gleichzeitig die Vermessung sämtlicher Grundstücke in Bayern anordnete. Damals mussten die Eigentümer den Umfang ihres beanspruchten Bodens selbst z.B. mit Pflöcken markieren wer sich weigerte, wurde bestraft. Diese Erfassung der einzelnen Besitzstände entsprach in fiskalischer Praxis einer Steuererklärung der Eigentümer. Das Ziel dieser vollständigen Kartierung Bayerns war eine gerechte und einheitliche Besteuerung des Grundbesitzes. Der pekuniäre Hintergrund lag darin, dass damals die Grundsteuer die Haupteinnahmequelle des bayerischen Staates bildete. Jedoch erst im Jahr 1848 wurde der Besitzstand durch Aufhebung der Grundherrschaft auch zum wirklichen Eigentum und im Jahr 1900 gingen mit Einführung des BGB die Angaben des Grundsteuerkatasters in das Grundbuch ein. Noch heute basieren bei manchen Grundstücken die im Liegenschaftskataster und Grundbuch geführten Flächen auf diesen mit den einfachen Bestimmungsmethoden des 19. Jhd. berechneten Werten (freundl. Auskunft des Landesamts für Digitalisierung, Breitband und Vermessung München).
Auf dem Uraufnahmeblatt von Birkenreuth aus dem Jahr 1843 ist der "Tiefe Brunnen" noch nicht eingezeichnet. Dieses ist insofern bedeutsam, als dass sowohl in der einschlägigen Literatur (SCHÖNHÖFER & SCHÖNHÖFER, 1992) als auch im offiziellen Denkmal-Atlas des Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege die Anlage des Brunnenschachts für das Jahr 1796 und der Bau des Brunnenhauses mit seinem verschieferten Glockendach und Pyramidendachhelm für das Jahr 1836 angegeben werden. Diese wechselseitig zitierten, jedoch falschen Angaben beruhen vermutlich auf fehlerhaften Interpretationen von in Sütterlin-Handschrift verfassten Jahresangaben in alten Urkunden oder auch nur auf über Generationen hinweg mündlich tradierten Erzählungen.
Im 19. Jhd. waren in Birkenreuth rund 25 kleine und kleinste Hüllen in privatem Besitz. Diese in ihren Ausmaßen bescheidenen Wasserlöcher wurden von den Bauern bevorzugt in deren Hofbereich angelegt. Häufig dienten zu ihrer Anlage natürlich anstehende Dolinen, die zur Abdichtung mit Lehm ausgekleidet wurden. Das darin gesammelte Oberflächenwasser fand vor allem Verwendung für die Säuberung von Disteln (Grauwäsche), welche nach dem Ausstechen dem Vieh als Futter beigemischt wurden sowie zum Waschen der weißen Futterrüben (WEISEL, 1992). Daneben existierte eine große Gemeindehülle SSW des alten Dorfkerns.
Neben den archaisch anmutenden Hüllen gab es in Birkenreuth acht Zisternen, wobei deren Bau wohl nur den relativ wohlhabenden Bauern vorbehalten war (WEISEL, 1992). Bezüglich der Hygiene stellten diese ausgemauerten und überdachten sowie bisweilen mit einem Sandfilter versehenen Wasserbehälter einen beachtlichen Fortschritt dar. Der Hauptanteil der Trinkwasserversorgung erfolgte in Birkenreuth bis zur ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus den 110 m tiefer und in 1150 m Entfernung gelegenen Talquellen im zum Wiesenttal hin einfallenden Birkenreuther Tal; von diesen ganzjährig schüttenden Karstquellen trugen Frauen das Trinkwasser mühsam mittels Wasserfässchen und Tragegestellen ("Reef") in das Dorf hinauf.
4 Der Brunnenbau in Birkenreuth
Im Jahr 1850 fassten die Bewohner von Birkenreuth den ungewöhnlichen Entschluss, mitten im Ort einen über 40 m tiefen Brunnen zu graben. Die geschichtlichen Abläufe dieses Brunnenbaus, welcher auf der fränkischen Karsthochfläche nur wenige Vergleichsbeispiele aufweist, sind aus im Staatsarchiv Bamberg verwahrten Originalakten des "Landgerichts älterer Ordnung (ä.O.)" und des "Bezirksamtes/ Landratsamtes Ebermannstadt" (Sig.: K 8: 2510 [1854-58], K 8: 10504 [1936] und K 8: 13643 [1956-58]) rekonstruierbar.
Das Vorhaben eines Brunnenbaus erschien den Planern deshalb als erfolgversprechend, da im Dorf Birkenreuth selbst als auch in dessen näherer Umgebung eine Vielzahl von Dolinen und Erdfällen ansteht, von denen heute allerdings der Großteil verfüllt und sogar überbaut ist. Möglicherweise konnte im Schluckloch einer derartigen Doline sogar das Rauschen des unterirdisch abströmenden Karstwassers vernommen werden, so dass Grundwasser in relativ geringer Tiefe zu vermuten war.
Vorangegangen waren den Birkenreuther Brunnenbauplänen mehrere Jahre mit Seuchen, Missernten und Hungersnöten, welche damals große Teile des Deutschen Reiches erfassten und nachhaltig erschütterten. Zunächst wurde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ganz Europa mehrmals von der Cholera heimgesucht. In den Jahren 1830 und 1836/37 erfasste diese bakterielle Infektionskrankheit, welche überwiegend durch verunreinigtes Trinkwasser hervorgerufen wird, auch das Königreich Bayern (WEHLER, 1987).
In den Jahren 1846/47 folgten nach Missernten in ganz Deutschland große Hungerkrisen, welche letztlich als Auslöser für die Revolution von 1848 angesehen werden (BASS, 2010). Niemals zuvor oder danach waren Hungerunruhen im Deutschen Reich so sehr verbreitet wie während der vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts (WILDEROTTER & DORRMANN, 1995). Bereits im Jahr 1846 erwiesen sich die Witterungsbedingungen in landwirtschaftlicher Hinsicht als außergewöhnlich ungünstig. So war der April 1846 durch sehr hohe Niederschlagssummen charakterisiert, die in einigen Landesteilen bis 229 % des damaligen langjährigen Monatsmittels betrugen. Die darauffolgenden Monate zeichneten sich hingegen durch starke Trockenheit aus, so dass die Saat nicht keimen konnte. Nach zeitgenössischen Schätzungen ging 1846 im Deutschen Reich die Ernte von Kartoffeln gegenüber einer guten Mittelernte um ein Drittel bis um die Hälfte zurück. Auch die Roggenernte betrug nur 50 % bis 60 % der Normalernte (WEHLER, 1987).
Auch im Hungerjahr 1847 war die Ernte sehr schlecht, zumal eine neu eingeschleppte Kartoffelkrankheit, die Kraut- und Knollenfäule, sich rasch ausbreitete (PETERS, 2013). So blieb in diesem Jahr auch noch die Kartoffelernte aus. Hieraus resultierten Hungersnöte in fast allen deutschen Staaten und Regionen sowie eine signifikante Verteuerung der Lebensmittel. Diese drastische Verschlechterung der Versorgung mit Grundnahrungsmittel mündete in verschiedene Hungerrevolten, so beispielsweise die sogenannte Kartoffelrevolution vom April 1847 in Berlin (WILDEROTTER & DORRMANN, 1995).
Das Krisenjahr 1847, dem bereits die schwere Missernte 1846 vorausgegangen war, gilt als unmittelbarer Vorbote der Märzrevolutionen von 1848. Viele ärmere, von der vorindustriellen Massenarmut betroffene Bevölkerungsschichten wie Arbeiter, verarmte Handwerker und Landarbeiter schlossen sich, bedingt durch ihre soziale Not, zunehmend den Forderungen demokratisch und liberal gesinnter Kreise an (BASS, 2010). Auch für Franken wird als Hauptgrund der 1848-ger Revolution die sich rapide verschlechternde wirtschaftliche und soziale Lage angesehen. Erhöhte Mortalitätsraten, das Anwachsen des Bettelns und schließlich Hungerrevolten erforderten obrigkeitliches Handeln, da die um sich greifende Hungersnot zur Triebfeder revolutionärer Aktionen in München und in einigen fränkischen Städten wurde (BASS, 2010). Allein für das Jahr 1847 können rund 200 Aufstände nachgewiesen werden (WILDEROTTER & DORRMANN, 1995). Von 189 Unruhen, deren Daten hinreichend bekannt sind, konzentrierten sich 158 Aufstände auf die kritischen Monate April und Mai 1847, als die Preise für Grundnahrungsmittel wie Kartoffeln und Brotgetreide auf die zwei- bis dreifache Höhe von Normaljahren anstiegen (BASS, 2010). Geographisch gesehen häuften sich die Hungerproteste vor allem im Nordosten des Deutschen Reiches, wobei zwei Drittel aller Unruhen auf Preußen entfielen. Die anderen Schwerpunktregionen des Hungerprotests lagen in Württemberg sowie in Franken (WEHLER, 1987).
In Birkenreuth gab es vor dem Brunnenbau, wie überall auf dem "Gebürg", kein frisches Wasser. Gekocht wurde mit Zisternenwasser, das oft schlecht und ungesund war (SENDELBECK, 1932). Die Trocken- und Hungerperioden in der zweiten Hälfte der 1840-ger Jahre, welche auf der kargen und wasserarmen Karsthochfläche der Frankenalb sicherlich überproportional verschärft zur Geltung kamen, müssen als unmittelbarer Auslöser für den ab 1850 in Birkenreuth in Angriff genommenen Brunnenbau angesehen werden (freundl. mündl. Mittl. Dr. K. Rupprecht, Staatsarchiv Bamberg). In diese Zeitspanne fallen auch die wenigen, in anderen fränkischen Karstdörfern begonnenen Versuche, über neu abgeteufte Brunnen sauberes Trinkwasser in ausreichenden Mengen aufzuschließen. Selbst die ehemals Freie Reichsstadt Nürnberg sah sich nach dem Jahr 1850 gezwungen, die städtische Wasserversorgung durch die flächenhafte Verlegung neuer gusseiserner Wasserrohre zu modernisieren und in den darauf folgenden Jahrzehnten leistungsfähige Wasserwerksanlagen einzurichten (PETERS, 2013).
Im Sommer 1850 begannen wohl nach den leidvollen Erfahrungen während der zurückliegenden, von Missernten, Hunger und Wassermangel geprägten Jahre die zunächst einfach gehaltenen und im Ergebnis erfolglosen Ausschachtungsarbeiten des "Tiefen Brunnen" von Birkenreuth. In einem Schreiben vom Juli 1854 an das Landgericht Ebermannstadt (Staatsarchiv Bamberg, Sig.: K 8: 2510) beklagten die Birkenreuther, dass sie nun "bald vier Jahre" den Brunnenschacht vorangetrieben hätten, ohne auf Wasser zu stoßen und baten um ein Gutachten, ob sie weitergraben sollten: schätzungsweise "40 bis 50 Fuß" würden bis zum Erreichen des Grundwassers noch fehlen.
Mit der gewünschten geognostischen Erkundung wurde der Königliche Gerichtsarzt zu Ebermannstadt beauftragt. In seiner "Gutachterlichen Äußerung" vom 17. Juli 1854 (Staatsarchiv Bamberg, Sig.: K 8: 2510) legte er zunächst dar, dass Birkenreuth "auf einem Bergplateau auf Dolomitgestein, darunter dolomitischer Jurakalk" liege und schilderte auch kurz die problematische Wasserknappheit auf der Albhochfläche. Er verwies dann auf "das ein halbe Stunde entfernte, südlich gelegene Dorf Wohlmuthshüll, wo ein Ziehbrunnen mit 24 Klafter Tiefe besteht". Nach einer Überschlagsberechnung, in welcher der Gutachter die Gesamtmächtigkeit der anstehenden Dolomite mit insgesamt 164 bis 174 Fuß angab (Dolomit wurden noch bei v. GÜMBEL (1891) als eigenständige stratigraphische Einheit angesehen), vermutete er, dass in Birkenreuth "noch nach wenigen Klaftern Weitergraben" Trinkwasser gewonnen werden könnte.
Die hier genannten alten Längeneinheiten Klafter und Fuß galten in Bayern bis zum Jahreswechsel 1872/73; danach wurde das metrische System verwendet. Das Klafter ging als Längenmaß auf die Spanne zwischen den ausgestreckten Armen eines erwachsenen Mannes zurück und wurde traditionell mit 6 Fuß definiert (JÄCKEL, 1824). In Bayern entsprach ein Klafter rund 1,75 m und ein Fuß 0,292 m.
In einem Kostenanschlag zum Birkenreuther Brunnenbau vom 30. September 1854 wird aufgeführt, dass nach dem Gutachten des Königlichen Gerichtsarztes zu Ebermannstadt das Grundwasser in 60 Fuß zu erwarten gewesen wäre. Tatsächlich müssten noch voraussichtlich 73 Fuß Felsen abgegraben werden; die Gesamtteufe des Brunnenschachts wird mit 162 Fuß geschätzt. Die Kosten für den Brunnenbau wurden auf 4408 Gulden veranschlagt und jene für die Errichtung des Brunnenhauses auf 925 Gulden (Staatsarchiv Bamberg, Sig.: K 8: 2510). Diese immensen Geldsummen auf einen heutigen Gegenwert umzurechnen, erscheint infolge der diversen Inflationen, Währungsumstellungen und -reformen sowie der von damals bis heute unterschiedlichen Bewertungen von Arbeits- und Materialkosten unmöglich. Als grobe Anhaltspunkte mögen jedoch einige der, von 1816 bis 1861 unverändert gebliebenen Saläre bayerischer Soldaten genannt sein: So erhielt pro Monat ein einfacher Soldat 2,25 Gulden, ein Hauptmann 1. Klasse 85 Gulden und ein Generalmajor 416 Gulden (KLOSE & JUNGMANN-STADLER, 2006).
Unmittelbar nach Erstellung des Gutachtens wurde in Birkenreuth zügig mit dem weiteren Ausschachtungsarbeiten begonnen. Die Felsen, die unter der dünnen Erdschicht zum Vorschein kamen, mussten gesprengt werden. Über dem zunehmend tiefer werdenden Brunnenschacht wurde ein Gerüst errichtet, wobei im Zuge des weiteren Baufortschritts von diesem ein Balken in den Schacht stürzte und einen Arbeiter erschlug. Im Jahre 1856 waren die Ausschachtungsarbeiten erfolgreich beendet. Das aufgeschlossene Karstwasser konnte nun mittels eines Holzeimers und einer bis heute erhalten gebliebenen Winde aus den Tiefen des Gebirges heraufgezogen werden (SENDELBECK, 1932).
Im Jahre 1856 erfolgte der Bau des pittoresken, heute unter Denkmalschutz stehenden Brunnenturmes. Dieser wurde an der Basis als Fachwerkbau ausgeführt. Darüber erhebt sich das markante, aus Holzbalken gezimmerte Brunnenhaus, welches von einem verschieferten Glockendach mit Pyramidendachhelm gekrönt wird. Im Giebelbereich wurde noch ein Türmchen mit Gebetsglocke aufgesetzt. Die Eindeckung des Brunnenturmes erfolgte 1857 mit Schieferplatten aus dem Staatsbruch in Lehesten (Staatsarchiv Bamberg, Sig.: K 8: 2510), der ca. 20 km S Saalfeld liegt und erst 1999 stillgelegt wurde. Heute spiegelt ein "Schieferpark Lehesten" die ehemals große wirtschaftliche Bedeutung dieser unterkarbonischen Schiefer wider. Die Anlieferung der schwarzgrauen Dachschiefer erfolgte über die bereits 1844 eröffnete Bahnlinie Nürnberg-Bamberg bis zur Bahnstation Forchheim und von dort mittels Fuhrwerk weiter nach Birkenreuth (SCHÖNHÖFER & SCHÖNHÖFER, 1992).
In Birkenreuth bestand die Art der Brauch- und Trinkwassergewinnung aus Hüllen, Zisternen und dem "Tiefen Brunnen" bis zum Jahr 1923. Danach erhielt das kleine Albdorf eine Wasserleitung mit Hausanschlüssen, wobei die Trinkwasserversorgung über Leitungsrohre von der Quellfassung an der Muschelquelle in Streitberg erfolgte. Nachdem in den 1960-ger Jahren wiederholt Trübeeinbrüche in der Muschelquelle beobachtet worden waren (vgl. BAIER, 2013), wurde die Trinkwassergewinnung aus dieser Wasserfassung stillgelegt. Seit 1968 wird das Trinkwasser aus dem Tiefbrunnen S Streitberg gewonnen und auch nach Birkenreuth hochgepumpt.
Eine Renovierung der mittlerweile baufällig gewordenen Holzkonstruktion des Brunnenturmes musste erstmals im Jahre 1925 erfolgen. Nach erfolgreicher Reparatur wurde der Glockenturm mit einer Wetterfahne, versehen mit dieser Jahreszahl, bekrönt (Staatsarchiv Bamberg, Sig.: K 8: 2510). Bereits im Sommer 1936 war jedoch eine erneute, umfangreiche Instandsetzung des gesamten Brunnenhauses erforderlich. Im Zuge dieser Arbeiten wurde die Wetterfahne mit der Jahreszahl "1925" durch "einen einfachen Kupferknauf in der alten Form" ersetzt (Staatsarchiv Bamberg, Sig.: K 8: 10504).
Im Jahr 1956 wies das mittlerweile unter Denkmalschutz stehende Wahrzeichen von Birkenreuth abermals erhebliche Schäden an seinem Dachgebälk auf. Vom Schieferdach war eine größere Fläche auf die Straße gestürzt, so dass die in den Brunnenturm ungehindert eindringenden Niederschläge mehrere große Tragbalken vermodern ließen (Staatsarchiv Bamberg, Sig.: K 8: 13643). Die umfassenden Restaurierungsarbeiten konnten nach tat- und finanzkräftiger Unterstützung des Landratsamtes Ebermannstadt und des Landesamtes für Denkmalpflege/München im Oktober 1956 erfolgreich abgeschlossen werden.
Seit 1997 wird der "Tiefe Brunnen" von Birkenreuth zum jährlichen Osterfest von den Einwohnern festlich geschmückt. Im Jahr 2010 wurde die mit 2500 bis 3000 handbemalten Eier verzierte Brunnenanlage von der Jury des TV Oberfranken zum schönsten Osterbrunnen Oberfrankens gewählt.
5 Geologisch/bauhistorische Aufnahme des "Tiefen Brunnen" von Birkenreuth
Zur Klärung der geologisch/hydrologischen Verhältnisse und der Baugeschichte des "Tiefen Brunnen" von Birkenreuth untersuchten die Forschungstaucher der AMLA/Kiel vom 04. bis 05. April 2014 in insgesamt 7 Tauchgänge den Brunnenschacht. In Kooperation mit dem GZN Erlangen wurden der Brunnen aufgenommen und dokumentiert sowie Gesteins- und Wasserproben entnommen und in den Labors des GZN analysiert.
Die Untersuchungen hatten zum Ziel, Erkenntnisse zu seinem Aufbau zu erlangen und eine geologische/hydrologische Aufnahme der im Brunnenschacht aufgeschlossenen Malmschichten zu dokumentieren. Die Arbeiten umfassten die Vermessung des Schachts samt den hier aufgefundenen Rüstlöchern und den Karsthohlräumen.
Der "Tiefe Brunnen" von Birkenreuth wurde vollständig aus dem Fels herausgearbeitet und weist trotz seines über 150-jährigen Alters nur geringe Verwitterungserscheinungen auf. Der Fußboden des Brunnenhauses befindet sich auf einem Höhenniveau von 467 m NN. Hierauf erhebt sich der aus massigen, hellgrauen und feinkörnigen Kalksteinquadern errichtete, rechteckige Brunnenkranz mit seiner durchschnittlichen Höhe von 0,55 m. Während in Süddeutschland die meisten der heute noch im Original erhalten gebliebenen Brunnenkränze eine Höhe von einem Meter über der Geländeoberkante (GOK) erreichen, weist die Birkenreuther Brunneneinfassung eine geradezu minimalistische und somit sehr kostengünstige Ausführung auf.
Die Höhe des Brunnenkranzes folgt jedoch einer bereits vom Mittelalter ab üblichen Gesetzmäßigkeit: Neben dem rein praktischen Gesichtspunkt des Schutzes vor einer potentiellen Verschmutzung des Brunnenwassers stand hier der Aspekt der Unfallverhütung im Vordergrund. So ist in dem in der Mitte des 13. Jhd. von dem Ritter und Schöffen Eike von Repkow aufgezeichneten Sachsenspiegel im zweiten Buch des Landrechts festgehalten: "Ein Mann soll für den Schaden, der anderen Leuten aufgrund seiner Unachtsamkeit widerfährt, aufkommen: sei es, dass er ihn verursacht durch einen Brand oder einen Brunnen, den er nicht kniehoch über der Erde eingehegt hat ..." (SCHOTT, 1991).
Unter der Geländeoberfläche wurde der Brunnenschacht aus dem in Birkenreuth anstehenden, hier tiefgründig verkarsteten Frankendolomit herausgebrochen. Um das im Oberflächenbereich "gebräche Gestein" abzustützen, musste der obere Schachtbereich bis zu einer Teufe von -9,15 m unter GOK (457,85 m NN) mit großen Malm-Bruchsteinen ausgemauert werden.
Der hier eingemessene, relativ geringe Brunnendurchmesser von rund 1,5 m weist auf einen zeitgleichen Einsatz von maximal zwei Bergleuten hin. In der Schachtmauer konnten bei -1,30 m u. GOK, bei -2,75 m u. GOK, bei -4,25 m u. GOK, bei -5,75 m u. GOK und bei -7,15 m u. GOK jeweils vier, paarweise gegenüberliegende Rüstlöcher in der Schachtaufmauerung beobachtet werden. Diese Rüstlöcher dienten zur Aufnahme von Holzbalken, auf denen die während des Ausschachtungsvorganges benötigten Arbeitsplattformen befestigt waren (vgl. BAIER et al., 2012).
Die kreisrunde Schachtmauer wurde auf dem Höhenniveau von 457,85 m NN über vier ausgemauerte Halbbögen und Stützsäulen auf die im Liegenden anstehenden Felsen gegründet. Derartige Mauerbögen waren bis zur Erfindung des Stahlbetons durch den Schweizer Joseph Monier die einzige Möglichkeit, größere Lasten auf die Widerlager abzuleiten. Die im Birkenreuther Brunnenschacht zwischen 1,0 m und 2,0 m hohen sowie von 0,76 m bis 1,43 m breiten Stützgewölbe tragen die Auflast der gesamten, über 9 m hohen Brunnenausmauerung.
Unterhalb der Ausmauerung verläuft der Schacht in den anstehenden Massenkalken des Malm Delta. Ab einer Teufe von -9,15 m u. GOK (457,85 m NN) bestehen diese aus nicht dolomitisierten, hellgrauen, feinkörnigen Riffschuttkalken mit Seeigelstacheln und Muschelschalenresten und bilden an der NW Schachtwand sehr glatte, von orthogonalen Kluftflächen begrenzte Felsen aus.
In der Brunnenteufe von -13,15 m u. GOK (453,85 m NN) stehen mikritische weißgraue Kalke an, welche mit kleinen Muschelschalenresten und bis 1 cm großen Hornsteinknollen durchsetzt sind. Bei -16,85 m u. GOK (450,15 m NN) treten kleine Karstschlotten auf, die mit schokoladenbraunen, feinkörnigen, kalkigen Tonen (Letten) verfüllt sind.
Im Liegenden folgen bis in eine Teufe von -17,45 m u. GOK (449,55 m NN) graue, feinkörnige Kalksteine mit Brachiopoden. Die Felswände des Brunnenschachts weisen bis in eine Teufe von -18,15 m u. GOK (448,85 m NN) Überreste von Sprenglöchern auf. Im Liegenden folgen bis -19,95 m u. GOK (447,05 m NN) mikritische, beige und graue Kalke; diese enthalten bis 2 cm große Hornsteinknollen sowie kleine Belemnitenrostren.
In der Teufe von -18,15 m u. GOK (448,85 m NN) ist in der W Schachtwand eine insgesamt 1,5 m hohe und bis 1,8 m breite, großenteils mit eingeschwemmten Lehmen verfüllte Schichtfugenhöhle angeschnitten. Hier wurde im NW Teil das Höhlenmundloch teilweise zugemauert, um die Lücke zu schließen. Die Höhle ist mindestens 3 m tief einsehbar und weist oben eine noch schluffbare Höhe von 0,22 m auf. Die liegenden Partien des Hohlraums sind hingegen mit insgesamt 0,93 m mächtigen, braunen und grauen Lehmsedimenten verfüllt.
In den Brunnenteufen von -20,0 m u. GOK (447,00 m NN) bis -24,65 m u. GOK (442,35 m NN) stehen gelblichgraue, sehr feinkörnige Massenkalke an. In diese sind bis 2 cm große weiße Kieselknollen sowie wenige Muschelschalenreste eingelagert. Die sehr kompakten Karbonatgesteine werden von wenigen, aber großflächigen tektonischen Trennfugen durchzogen. So wird der SW-Teil des Brunnenschachtes in Teufen von -22,55 m u. GOK (444,45 m NN) bis -25,05 m u. GOK (441,95 m NN) von einer erzgebirgisch streichenden und nahezu saiger einfallenden Kluftfläche durchtrennt. Auch an der gegenüberliegenden Schachtwand ist diese tektonische Trennfuge zu beobachten, hier jedoch weniger stark ausgeprägt. Die Kluft wurde großenteils vermauert; in den umgebenden Felswänden treten Spuren von Bohr- und Sprenglöchern auf.
In den liegenden Partien erweist sich der Birkenreuther Brunnenschacht als zunehmend unsauber aus dem anstehenden Gebirge gebrochen. Gerade ebene Felswände, bisweilen mit deutlich erkennbaren Wasserzutritten, wechseln mit mehreren, in den Schacht vorspringenden Felsabsätzen ab. In der Teufe von -25,95 m u. GOK (441,05 m NN) befindet sich ein vermutliches Rüstloch in der NW Schachtwand; 0,1 m darunter konnte in der S Felswand ein archaisch anmutender, quadratischer Eisennagel mit einer Kopfgröße von 1,5 cm x 1,5 cm beobachtet werden.
Darunter stehen bis in eine Brunnenteufe von -26,65 m u. GOK (440,35 m NN) bräunlich-graue, geschichtete, feinkörnige Kalksteine an. In diese eingelagert sind auffällige, bis 4 cm große, oval geformte, gebänderte weißgraue Kiesel- oder Chertknollen. Weiterhin konnten in diesem Schichtkomplex kleine Karströhren beobachtet werden, die mit eingeschwemmten limonitischen, wohl oberkretazischen Sandsteinbruchstücken, kleinen Eisenerzbruchstücken und Quarzkieseln verfüllt sind.
Die liegenden Partien des Brunnenschachts verlaufen bis zum Grundwasserspiegel in grauen, mikritischen, sehr harten und splittrig brechenden Kalksteinen. In der Brunnenteufe von -28,15 m u. GOK (438,85 m NN) ragt ein über 1 m breiter Felsvorsprung 0,58 m in den Schacht hinein. Unter dieser Gesteinsnase mündet in die Brunnenröhre ein 1,12 m hoher und 1,5 m breiter Karsthohlraum, welcher vollständig mit Sand- und Lehmschichten sowie eingelagerten Geröllen verfüllt ist. Die umgebenden Felswände zeigen sich als sehr unsauber gebrochen und weisen eine Vielzahl von annähernd senkrechten Bohr- und Sprenglöchern mit Durchmessern um vier Zentimeter auf, die sich auch unter dem rezenten Brunnenwasserspiegel fortsetzen.
Auf dem Höhenniveau von -30,80 m u. GOK (436,20 m NN) mündet in die S Schachtwand eine kleine Karströhre. Die Sohle dieser Anastomose ist mit hellbraunen, feinkörnigen und sehr kalkhaltigen Lehmen mit eingelagerten kleinen Kalkbrocken gefüllt. Diese von der Albhochfläche eingeschwemmten Lehme weisen auch Fließfacetten von rezent strömenden Wässern auf und deuten somit auf eine direkte hydraulische Verbindung zwischen der Erdoberfläche und dem Karstwasserkörper hin.
Der Ruhewasserspiegel im Birkenreuther Brunnen konnte am 04. April 2014 mit -30,92 m u. GOK (436,08 m NN) eingemessen werden. Die Brunnensohle wurde auf -41,15 m u. GOK (425,85 m ü. NN) angetroffen. Das Karstwasser war somit im Brunnenschacht 10,23 m tief. Es wies an diesem Tag allerdings eine derart starke Trübung auf, dass die Sichtweite unter Wasser maximal 0,2 m betrug. Aus diesem Grunde musste die Aufnahme der unter dem Karstwasserspiegel liegenden Brunnenteile auf wenige Ausmessungen beschränkt werden. Diese ergaben auch für die gefluteten Schachtpartien sehr unregelmäßige Ausschachtungen, welche mit zunehmender Tiefe vom ursprünglichen Lot des Brunnenbaus abweichen. Vom Schachtgrund konnten neben den üblichen Zivilisationsschutt wie Trinkgefäßen, Geldmünzen und Holzbalken eine große Anzahl von ursprünglich weißen Kalkbrocken geborgen werden, die allerdings von dichten schwarzen Bakterienrasen überwuchert waren. Diese intensiv nach Schwefelwasserstoff riechenden Bakterienansammlungen verschwanden nach einer rund einstündigen Verweildauer in sauerstoffreicher Luft makroskopisch vollständig von den Gesteinsoberflächen.
6 Hydrogeologische Untersuchungen
Zur hydrogeologischen und hydrochemischen Untersuchung des Karstgrundwassers im "Tiefen Brunnen" von Birkenreuth wurden
- am 21. August 2013,
- am 05. April 2014,
- am 16. August 2014 und
- am 22. Oktober 2014
die Einmessungen des jeweiligen Brunnenwasserspiegels durchgeführt, die "Vor-Ort-Parameter" unmittelbar an der Entnahmestelle gemessen sowie Wasserproben gezogen und die wichtigsten Wasserinhaltsstoffe analysiert.
Das im "Tiefen Brunnen" von Birkenreuth aufgeschlossene Karstwasser gehört zu dem schwebenden Grundwasserkörper über den als lokale Aquiclude wirksamen Mergelkalken des Malm Gamma. Diese Malm Gamma-Mergel stehen auf einem Höhenniveau von 420 m NN an und trennen den oberen, schwebenden Karstwasserkörper von dem Haupt-Karstgrundwasserkörper im Liegenden, wobei letzterer die benachbarten Birkenreuther Talquellen auf einer Höhenlage von 355 m NN speist (vgl. BAIER, 2013).
Die während der vier Messtermine durchgeführten Bestimmungen der Wasserspiegelhöhen erbrachten ein überraschendes Ergebnis: Die Karstwasseroberfläche im Brunnenschacht stand an den vier Beobachtungstagen auf nahezu identischen Höhen von 436,05 m NN (16.08.2014 u. 22.10.2014) über 436,07 m NN (21.08.2013) bis 436,08 m NN (05.04.2014) an und schwankte somit lediglich um 3 cm.
Während der jeweils vor dem entsprechenden Messtermin liegenden Woche waren sehr unterschiedliche Niederschlagsmengen gefallen:
- Vor dem 21.08.2013 insg. 8 mm/7d,
- vor dem 05.04.2014 insg. 1 mm/7d,
- vor dem 16.08.2014 insg. 39 mm/7d und
- vor dem 22.10.2014 insg. 31 mm/7d.
Im humiden Klimabereich gehen nach BÖGLI (1978) rund 50 % der gefallenen Niederschläge in die Karstgrundwasserneubildung ein. Die im Birkenreuther Brunnen trotz der sehr unterschiedlichen Niederschlagsdargebote nahezu konstanten Wasserspiegelhöhen deuten darauf hin, dass hier im Untergrund eine lokale Muldenstruktur der Malm-Gamma-Aquiclude ausgebildet ist, über welcher sich ein beständiger, mächtiger und weitflächiger Grundwasserkörper ausgebildet hat, welcher einen "subterranen Badewanneneffekt" aufweist. Seinen Zustrom erhält dieser schwebende Karstgrundwasserkörper vermutlich aus S Richtungen und gibt erhöhte Wassermengen rasch in E Richtungen ab (BAIER, 2013).
In dieses hydrologische Bild fügen sich die während der vier Messtermine beobachteten Grundwassertemperaturen ein. Diese betrugen von +9,2° C bis +10,1° C und entsprachen somit den für ein Grundwasser des Seichten Karstes natürlich erscheinenden Werten.
Auch die pH-Werte der Karstwässer bewegten sich an allen vier Beobachtungsterminen nahezu unverändert mit pH = 7,1 bis pH = 7,5 im neutralen bis leicht basischen Bereich und zeigten keine Auffälligkeiten.
Die im Brunnenwasser beobachteten Redoxpotentiale konnten mit Werten von +77 mV bis +337 mV bestimmt werden. Als pH-Wert unabhängiges Beurteilungskriterium für das Redoxvermögens eines Systems wird der rH-Wert herangezogen: Hiermit ließen sich an allen vier Beobachtungsterminen die oberen Bereiche des Brunnenwassers als vorwiegend schwach oxidierend charakterisieren. Lediglich das am 05.04.2014 nahe dem Schachtgrund beprobte Wasser war wohl aufgrund des bereits makroskopisch sichtbaren, hohen Gehalts an organischen Partikeln als indifferentes System einzustufen.
Die auf eine Wassertemperatur von +25° C normierte spezifische elektrische Leitfähigkeit als Maß für die Gesamtheit der in einer Probe gelösten Elektrolyte gestattet eine temperaturunabhängige Betrachtung der im Wasser gelösten Ionen. Die Leitfähigkeitsmesswerte in den Brunnenwässern zeigten an den vier Beobachtungsterminen eine ebenso deutliche Konstanz wie die Wassertemperaturen oder die pH-Werte. Die LF-Werte bewegten sich zwischen 1334 µS/cm (21.08.2013) und 1371 µS/cm (22.10.2014). In fränkischen Grundwässern sind generell natürliche, geogen bedingte Leitfähigkeiten von 300 µS/cm bis 600 µS/cm zu erwarten. Höhere Werte >750 µS/cm deuten auf anthropogene Einflüsse hin. Die mit rund 1350 µS/cm stark erhöhten Leitfähigkeitswerte im "Tiefen Brunnen" von Birkenreuth weisen daher eindeutig auf hohe Gehalte an gelösten Ionen hin.
Im Zuge der Brunnenbefahrungen erfolgte am Vormittag des 05.04.2014 eine hydrologische Profilaufnahme des über 10 m tiefen Karstgrundwassers im Birkenreuther Brunnenschacht. Der Ruhewasserspiegel (RWS) stand an diesem Tag auf 436,08 m NN an.
In Wassertiefen von
- -1,13 m u. RWS (434,95 m NN),
- -3,53 m u. RWS (432,55 m NN),
- -6,03 m u. RWS (430,05 m NN) und
- -8,53 m u. RWS (427,55 m NN)
wurden Wasserproben entnommen und auf die Vor-Ort-Parameter untersucht. Die Ergebnisse zeigen auf den ersten Blick einen weitgehenden homogenen hydrologischen Aufbau der Wassersäule. Bei genauerer Betrachtung fällt jedoch auf, dass auf dem Höhenniveau von 432,55 m NN ein Grundwasserzustrom in den Brunnenschacht erfolgen muss. Die Wassertemperaturen stiegen hier um +0,5 K über die Werte der hangenden und liegenden Wasserschichten an, ebenso nahm der pH-Wert um 0,15 Einheiten zu. Am auffälligsten waren jedoch die Werte der Sauerstoffsättigung und jene der spezifischen elektrischen Leitfähigkeit, die in dieser Teufe doch signifikant über den Messergebnissen vor allem der unteren Wasserschichten lagen. Insgesamt betrachtet ergibt sich für die gesamte Brunnenwassersäule das Bild eines schadstoffbelasteten, nahezu sauerstofffreien Grundwassers.
Die Karbonathärten der Brunnenwässer betrugen an den vier Beobachtungsterminen 20 °dH bis 22 °dH und zeigen die starke Karbonatlösung im Gebirge, wobei in diesem Gebiet der Grundwasserzustrom und -abstrom auch über größere Distanzen bevorzugt über N-S bzw. E-W verlaufende Karströhren zu erfolgen scheint (vgl. Baier, 2013).
Ähnliche Messergebnisse ergaben sich bei den Werten der Gesamthärten, welche von 27 °dH bis 30 °dH betrugen und vermutlich teilweise auf das als Düngemittel ausgebrachte und bei Niederschlägen in das Karstwasser eingeschwemmte Kaliumchlorid zurückzuführen sind.
Der Sauerstoffgehalte der Brunnenwässer betrugen an den vier Beobachtungsterminen lediglich 0,6 mg/L bis 2,8 mg/L und deuteten mit O2-Sättigungsgraden von nur 6 % bis 27 % auf massive Schadstoffbelastungen in diesem schwebenden Karstwasserkörper hin. Dieser signifikante Sauerstoffmangel dürfte infolge des Auftretens von reduzierenden Wasserinhaltsstoffen (v.a. eingeschwemmte organische Substanzen) und die hiermit verbundenen bakteriellen Abbauvorgänge verursacht worden sein.
Zur Prüfung dieses Sachverhalts wurde am 22.10.2014 eine Untersuchung des BSB 5-Wertes des Brunnenwassers durchgeführt. Dieser "Biologische Sauerstoff-Bedarf nach 5 Tagen" ist ein Beurteilungskriterium für den Grad der Belastung des Wassers mit organisch abbaubaren Substanzen. Von diesen Substanzen ernähren sich die im Grund- oder Oberflächenwasser lebenden Mikroorganismen, wobei die Kleinstlebewesen hierbei das Wasser reinigen. Die Menge der Mikroorganismen hängt im Wesentlichen vom Nährstoffangebot, also von der Wasserverschmutzung sowie vom Sauerstoffangebot im Wasser ab.
Die Abbaugeschwindigkeit für die verschiedenen Kohlenstoffverbindungen kann sehr unterschiedlich sein. Der Abbau beginnt bei den für Mikroorganismen leicht verwertbaren, überwiegend gelösten Stoffen. Bei landwirtschaftlichen oder häuslichen Abwässern liegt der Hauptanteil der Kohlenstoffverbindungen zunächst als ungelöste organische Verbindungen vor und ist erst nach einer Hydrolyse als Nährstoff verfügbar; die Hydrolyse selbst erweist sich jedoch als ein relativ träger Vorgang. Innerhalb von 5 Tagen können bei ausreichend vorhandenem Sauerstoffangebot bereits bis 70 % der organischen Wasserverunreinigungen abgebaut sein; nach rund 20 Tagen sind dann alle leicht abbaubaren Substanzen vollständig oxidiert. Der Zeitraum für den vollständigen biologischen Abbau der vorhandenen Schmutzstoffe beträgt etwa 70 Tage.
Das am 22.10.2014 aus einer Tiefe von drei Meter unter dem Ruhewasserspiegel entnommene, leicht nach Schwefelwasserstoff riechende und einen Sauerstoffsättigungsgrad von lediglich 13 % aufweisende Brunnenwasser wurde vier Stunden nach der Probennahme im Erlanger Labor angesetzt und mit Luft bis zu einer Sauerstoffsättigung von 98 % angereichert. Die fünftägige Messung erfolgte in "Karlsruher Flaschen" ohne Lichtzutritt bei einer gleichmäßigen Temperatur von rund +20° C. Für diesen Beobachtungstermin ergab sich ein BSB 5-Wert von 5 mg/L O2 ; das Brunnenwasser konnte somit als mäßig belastet beurteilt werden. Bemerkenswert ist hierbei, dass im Karstgrundwasser dieses Gebiets bereits umfangreiche, sauerstoffzehrende Abbauvorgänge im Gebirge selbst stattgefunden haben müssen, bevor das danach sehr sauerstoffarme Wasser in den Brunnenschacht einströmt. Derart geringe Sauerstoffsättigungsgrade wie im Birkenreuther Brunnen können im Allgemeinen nur im unmittelbaren Abstrombereich von Deponien beobachtet werden.
Erst nach dem Abbau der Kohlenwasserstoffverbindungen findet noch ein zweiter sauerstoffzehrender Abbauprozess statt, die Nitrifikation. Eine spezielle Bakteriengruppe (Nitrifikanten) oxidiert die in einem natürlichen Wasser enthaltenen Stickstoffverbindungen von Ammonium über Nitrit zum Nitrat.
Im Karstwasser des "Tiefen Brunnen" von Birkenreuth konnten an den vier Messterminen nur sehr geringe Nitrat-Gehalte von 1 mg/L bis 3 mg/L beobachtet werden. Die in den Brunnenwässern festgestellten Nitrit-Werte von 0,07 mg/L bis 0,10 mg/L und die Ammonium-Gehalte von 0,1 mg/L bis 0,7 mg/L weisen jedoch deutlich auf die Einträge von organischen und anorganischen Stickstoffdüngern (Gülle, Ammoniumnitrat) hin, welche beispielsweise auf den Karsthochflächen beim großflächigen Anbau von Energiepflanzen ausgebracht werden oder auf die Entsorgung von Gärresten, welche als Abfallprodukt bei der Biogaserzeugung anfallen. Vor allem der Nachweis von Ammonium-Ionen in natürlichen Wässern deutet auf hygienisch bedenkliche Verunreinigungen im Einzugsgebiet hin und weist auf einen schnellen unterirdischen Transport von nahe gelegenen Eintragsorten hin. Auch das relativ toxische Nitrit gilt als klarer Indikator für Wasserverschmutzungen und deutet auf Verrottungs- oder Verwesungsherde in der weiteren Umgebung hin. Beide Kontaminationsstoffe werden normalerweise im sauerstoffreichen (Grund-) Wasser durch Stickstoffbakterien letztlich zu Nitrat oxidiert, bleiben im sauerstoffarmen Milieu jedoch weitgehend erhalten.
Im Gegensatz hierzu werden die Wasserinhaltsstoffe Sulfat, Phosphat und Chlorid im Karstgrundwasser nicht abgebaut.
Phosphatbelastungen konnten im Birkenreuther Brunnen an den vier Messterminen nicht nachgewiesen werden.
Hingegen betrugen die beobachteten Sulfat-Konzentrationen 60 mg/L bis 140 mg/L. Sulfat-Gehalte um 20 mg/L werden in Franken meist als geogen bedingt angesehen, während höhere Gehalte (> 70 mg/L) auf anthropogene Einträge hindeuten. Im Karstgebirge der Frankenalb gilt Sulfat als das "Leit-Ion" für Auslaugungen aus Bauschutt-Ablagerungen, welche bis heute sehr häufig als Verfüllungsmaterial in Dolinen eingebracht werden. Da diese Dolinen trotz des Schutteintrages weiterhin hydraulisch aktiv bleiben, wird das Sulfat aus Putz- und Gipsanteilen herausgelöst und in das Karstgrundwasser eingebracht. Ein zusätzlicher Eintrag kann aus sulfathaltigen Düngern und Spritzmitteln erfolgen.
Die bei den vier Beobachtungsterminen im "Tiefen Brunnen" von Birkenreuth gemessenen, als sehr hoch anzusehenden Chlorid-Gehalte von 186 mg/L bis 214 mg/L sind nicht (wie es üblicherweise in dicht besiedelten Regionen zu vermuten wäre) auf die winterliche Salzstreuung der wenigen Verkehrswege um Birkenreuth zurückzuführen. Sie weisen vielmehr darauf hin, dass der in diesem Gebiet über den Malm Gamma-Mergel ausgebildete, schwebende Karstwasserkörper neben den Stickstoffeinträgen auch durch chloridhaltige Kali-Dünger direkt kontaminiert wird und zeigen somit die typische Vulnerabilität von Karstwässern gegenüber dem Eintrag von Schadstoffen an.
7 Schlussbetrachtung und Ausblick
Die Umstände, welche zum technisch aufwändigen Bau des "Tiefen Brunnen" von Birkenreuth geführt haben, legen ein signifikantes Zeugnis ab vom jahrhundertelangen Kampf der fränkischen Albbewohner um den Zugang zu einem ausreichenden Trinkwasserangebot. Der unmittelbare Auslöser für den Birkenreuther Brunnenbau waren die extremen Witterungsverhältnisse in der Mitte der 1840-ger Jahre. Sie zeigen deutlich, dass Wetterkapriolen kein hervorstechendes Merkmal unserer modernen Zeit sind. Im Gegensatz zu heute verursachten diese Witterungsverläufe jedoch umfassende gesellschaftliche Störungen, die letztlich in die Revolution von 1848 mündeten. Als Konsequenz führten sie auf der Albhochfläche vereinzelt zum Bau von kostspieligen Trinkwasserbrunnen und in den übrigen fränkischen Landesteilen zur Errichtung leistungsfähiger Trinkwassernetze. Mit fast einhundertjähriger Verzögerung wurde eine moderne Trinkwasserversorgung auch auf der kargen Hochfläche der Frankenalb eingeführt und bedingte hier ab dem Ende des II. Weltkrieges im Verbund mit dem aufkommenden Massentourismus die Herausbildung der heutigen, relativ wohlhabenden Urlaubsregion.
Das massive und jahrhundertealte Problem der Trinkwasserknappheit auf der Frankenalb war nur durch die geologischen und somit natürlichen Verhältnisse bedingt. Als jüngste, wohl als ebenso gewichtig anzusehende Gefahr muss jedoch die seit den 1990-ger Jahren wieder zunehmende, rein anthropogen verursachte Grundwasserbelastung angesehen werden. Diese Kontaminationsvorgänge sind nicht nur auf die fränkischen Karstgebiete beschränkt, müssen aber aufgrund des hier raschen Grundwasserdurchsatzes und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass in diesem Gebirge die größten Trinkwasservorräte Nordbayerns lagern, als besonders signifikant angesehen werden. Standen früher bei der Trinkwasserversorgung quantitative Probleme im Vordergrund, ist heute die Einhaltung qualitativer Mindeststandards bei der Bereitstellung dieses wichtigsten Lebensmittels zu besorgen. Vor allem der seit der praktischen Durchsetzung der "Deutschen Energiewende" forciert vorangetriebene großflächige Anbau von "Energiepflanzen" und die damit verbundenen Düngemaßnahmen sowie die hiermit verknüpfte Entsorgung sogenannter Gärreste tragen landesweit zur zunehmenden Kontamination der zur Trinkwassergewinnung benötigten Grundwässer bei. Die Lösung dieser Problematik erfordert nicht mehr naturwissenschaftlichen, sondern nunmehr politischen Handlungsbedarf.
8 Danksagungen
Stellvertretend für die Teams der Bergwacht Forchheim und der Höhlenrettung Bamberg möchten wir uns bei Herrn Denis Lieb/Birkenreuth für den professionellen, auf Sicherheit bedachten Einsatz und die sehr freundliche, kameradschaftliche Zusammenarbeit bedanken.
Auch gilt unser herzlicher Dank den Herrn Dr. Stefan Nöth und Dr. Klaus Rupprecht vom Staatsarchiv Bamberg für die sehr entgegenkommenden, umfangreichen Aktenrecherchen bezüglich des Brunnenbaus in Birkenreuth, der Hilfestellung bei der Interpretation von Sütterlin-Handschriften und der Genehmigung zur Veröffentlichung des historischen Photos des Birkenreuther Brunnenhauses.
Frau Anke Messingschlager (Tourist-Info Muggendorf) und Herr Jürgen Sendelbeck (Birkenreuth) unterstützten tatkräftig die administrativen und technischen Arbeiten und halfen schnell sowie unkonventionell bei Problemen vor Ort ihnen sei hiermit ausdrücklich gedankt.
Bei Herrn Richard Reinl (Nordbayerische Nachrichten Pegnitz) und bei Herrn Thomas Hochsieder (Happurg) möchten wir uns für ihre verlässlichen, tatkräftigen Unterstützungen bei den Geländetätigkeiten bedanken.
Unser besonderer Dank gilt Frau Gudrun Klein/Bibliothek des GZN Erlangen sowie Frau Christiane Friedrich vom Fränkischen-Schweiz-Verein/OG Engelhardsberg für ihre umfassenden Hilfestellungen bei den Literaturrecherchen.
Frau Laborantin Melanie Hertel und den vielen, engagierten Studentinnen und Studenten des GeoZentrums Nordbayern der FAU Erlangen/Nürnberg danken wir für die bei zwei Messterminen durchgeführten titrimetrischen und kolorimetrischen Wasseranalysen.
Zwei ungenannten Gutachtern sei für wertvolle Hinweise und für die Durchsicht des Manuskriptes gedankt.
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* Dr. Alfons Baier, last Update: Freitag, 24. Februar 2023 12:02