Goethe und die Luisenburg
von Alfons BAIER
Am nordöstlichen Abhang des Kösseinemassivs erstreckt sich das ausgedehnte Felslabyrith der Luisenburg. Die östlichen Teile der Luisenburg bestehen aus Kösseine-Kerngranit, während die westlichen Teile von Randgraniten aufgebaut werden. Die blaue Färbung des Kerngranits wird durch kleine Cordieritkristalle hervorgerufen; diese sind -- ähnlich dem gehäuften Auftreten von Granat im Kerngranit -- auf die Aufschmelzung ehemaliger Sedimentgesteine zurückzuführen, von denen an dieser Lokalität auch noch größere, nicht assimilierte Schollen im Granit enthalten sind.
Im großen Granitsteinbruch unterhalb der Luisenburg sind im Intrusionsverband Einschlüsse von älteren Kösseine-Randgranit und ehemaligen Sedimentgesteinen im jüngeren Kösseine-Kerngranit aufgeschlossen.
Die Entstehung der Granit-Blockmeere infolge Verwitterung begann bereits während des Tertiärs. Das während dieser Zeit vorherrschende subtropische Klima verstärkte die von der Erdoberfläche in die Tiefe vordringenden Kräfte der chemischen Verwitterung, welche bevorzugt an den durch Abkühlungsvorgänge entstandenen Horizontal- und Vertikalklüften des Granitkörpers angriffen. Die im nachfolgenden Quartär einsetzenden Eis- und Zwischeneiszeiten förderten die physikalischen Verwitterungsvorgänge: Durch die heftigen Temperaturschwankungen und die Sprengkraft des Eises verwitterten die Granite zu wollsackartigen Gesteinskörpern. Bereits zersetzte Gesteinspartien wurden während kurzer Wärmeperioden, bei welchen die oberen, aufgetauten Bodenschichten über den noch vereisten Schichten im Untergrund hangabwärts glitten, mit diesen aus den Räumen zwischen den noch intakten Gesteinsblöcken herausgeschwemmt. Die nunmehr isolierten Granitblöcke konnten somit langsam ihre Position gegeneinander verändern, ein Vorgang, welcher sich auch heute noch mit kaum feststellbarer Geschwindigkeit fortsetzt.
Der erste Gelehrte, welcher sich mit dem Felslabyrinth der Luisenburg (damals noch "Luxburg" genannt) näher beschäftigte, war Johann Wolfgang von GOETHE. Im Jahre 1785 reiste der junge Legationsrat v. GOETHE mit seinem Kameraden Karl Ludwig v. KNEBEL zu naturwissenschaftlichen Studien ins Fichtelgebirge. Diesem Entschluß vorausgegangen war sein in Karlsbad und Eger -- angeregt durch die von ihm und Karl August v. WEIMAR gegründete "Mineralogische Gesellschaft Grüner-Eger" -außerordentlich stark erwachtes Interesse für Meterologie, Botanik und Landschaftsgeologie.
Der Aufenthalt der beiden Forscher zwischen dem 29. Juni und 03. Juli 1785 gestaltete sich aufgrund schlechter Witterungsverhältnisse als nicht sehr angenehm. Am 03. Juli schrieb K. Ludwig v. KNEBEL in sein Tagebuch: "Diesen Morgen fuhren wir unter starkem Gewitterregen nach der Luxburg. Wir bestiegen die prächtigen Granitfelsen, die daselbst noch in zerstreuten und aufgetürmten Trümmern liegen. Sturm und Regen nötigten uns wieder herunterzugehen und ich ging allein mit meinem Burschen, indes Goethe zeichnete, über Sichersreuth wieder zurück."
Die Beschäftigung mit der Frage der Entstehung des Felslabyriths führte GOETHE letztlich zu der modern anmutenden Erkenntnis, daß die Genese der verstürzten Granit-Blockmassen auf langsame natürliche Verwitterungsvorgänge zurückzuführen sei. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte man das Zustandekommen der Blockmeere noch auf starke Erdbeben und "weltumstürzendes Getöse von Gipfeln, die in Abgründen zu tausend anderen Felsen zerschmettert worden waren", zurückgeführt. In seinen schematischen Zeichnungen malte Goethe links die Granitfelsen in deren vermutlich ursprünglichen Zustand, wobei er die später abgewitterten Blöcke mit einer Schraffur versah; das jeweils rechte Bild zeigt die Granitblöcke in dem Zustand, in welchen er diese bei seinem Besuch am 03. Juli 1785 vorgefunden hatte. In seinen "Tages- und Jahresheften 1820" schrieb er hierüber: "Mein Abscheu vor gewaltsamen Erklärungen, die man auch hier mit reichlichen Erdbeben, Vulkanen, Wasserfluten, anderen titanischen Ereignissen geltend zu machen versuchte, ward auf der Stelle vermehrt, da mit einem ruhigen Blick sich gar wohl erkennen ließ, daß durch teilweise Auflösung wie teilweise Beharrlichkeit des Urgesteins, durch ein daraus erfolgendes Stehenbleiben, Sinken, Stürzen, und zwar in ungeheuren Maßen, diese staunenswürdige Erscheinung ganz naturgemäß sich ergeben habe."
Im Jahre 1820 besuchte Goethe die Luisenburg zum zweiten Male, um hiernach der wissenschaftlichen Welt seine Erkenntnis von der Genese des Felslabyriths -- allein durch Verwitterungsvorgänge -- zu unterbreiten. In der Zwischenzeit war durch die Erschließungsbemühungen eines "Wunsiedler Gesellschaftskreises" aus der unwirtlichen "Luxburg" eine parkähnliche Anlage geworden, welche man im Sommer 1805 anläßlich eines Besuches des preußischen Königspaars zu Ehren der jungen Königin in "Luisenburg" umbenannt hatte. Heute wird ein Teil der Luisenburg auch als Naturbühne genutzt.
Literatur:
FROSCHAUER, OSKAR: (1949): Der ruhige Blick - Goethe auf der Luisenburg im Fichtelgebirge.- Nürnberger Hefte 1, 7: 16-18, Nürnberg (Nbg.-Presse) 1949.
RICHTER, P. & STETTNER, G.: (1979): Geochemische und petrographische Untersuchungen der Fichtelgebirgsgranite.- Geologica Bavarica 78, 144 S., 70 Abb., 9 Beil., München 1979.
WURM, ADOLF: (1932): Erläuterungen zur Geol. Karte von Bayern 1:25000 Bl. Wunsiedel Nr. 82.- 46 S., 11 Abb., 6 Taf., München 1932.
* Dr. A. Baier; Last update: Freitag, 24. Februar 2023 12:53